zur Erinnerung
Vietnamkrieg 1964 - 1975 Überleben als Maulwurf - die Tunnel des Widerstands Sie gehören in Vietnam zu den Attraktionen der Kriegstouristen: unterirdische Tunnelsysteme, in denen sich Kinder, Frauen und MĂ€nner vor den amerikanischen Bomben schĂŒtzten.

Peter Jaeggi

Roland Schmid

28.04.2015, 08:03 Uhr/

Höchstens 1,70 Meter hoch und gerade breit genug fĂŒr einen Menschen. In Vinh Moc lebten die Menschen oft fĂŒr Jahre in einem schĂŒtzenden Tunnelsystem.
(Bild: Roland Schmid)

Sie gehören in Vietnam zu den Attraktionen der Kriegstouristen: unterirdische Tunnelsysteme, in denen sich Kinder, Frauen und MĂ€nner vor den amerikanischen Bomben schĂŒtzten.

Rund sieben Tonnen Bomben pro Einwohner sollen die USA in der Region des einst beschaulichen Dorfes Vinh Moc abgeworfen haben. Das Gebiet, nahe der entmilitarisierten Zone, gilt als eines der am schwersten bombardierten der Kriegsgeschichte.

"Es sah aus wie eine Mondlandschaft", sagt der US-Kriegsveteran Chuck Searcy. Um sich vor der Apokalypse zu schĂŒtzen, verschwanden die Menschen buchstĂ€blich unter der Erde. MĂŒhsam von Hand gruben sie in geschĂ€tzten 7,5 Millionen Arbeitstagen 114 Tunnel.

Zwischen 1963 und 1968 entstand ein System von etwa 40 Kilometern LĂ€nge, das auf drei Etagen bis acht Meter tief reichte.
(Bild: Roland Schmid)

Vinh Moc: In den Tunnel kamen zahlreiche Kinder zur Welt.
(Bild: Roland Schmid)

Schutztunnel von Vinh Moc: Zum Meer hin gut getarnter Augang.
(Bild: Roland Schmid)

Zwischen 1963 und 1968 entstand ein System von etwa 40 Kilometern LÀnge, das auf drei Etagen bis acht Meter tief reichte. Kleine LÀden, winzige Nebenhöhlen als Lazarett, Wohn- und Kommandohöhlen, Schulen: Es gab eine komplette Infrastruktur in diesem menschlichen Maulwurfdorf.

Mehrere Kinder wurden in den maximal 1,70 Meter hohen und Ă€usserst engen Tunneln geboren. Als Besucher, gebĂŒckt und gebeugt, bewaffnet mit einer Taschenlampe, fasst man es kaum, dass hier unten Menschen fĂŒr Jahre leben konnten.

Die Tunnel wurden vom Feind nie vollstĂ€ndig entdeckt, und da keiner der Untergrundbewohner durch amerikanische Bomben starb, haben sie einen starken Symbolcharakter fĂŒr die nationale IdentitĂ€t.

Noch grösser war das Tunnelsystem von Cu Chi - lĂ€nger als 200 Kilometer. Auch hier können Touristen wenige noch existierende GĂ€nge begehen. Sie liegen 70 Kilometer nordwestlich von Ho-Chi-Minh-Stadt, dem frĂŒheren Saigon.

WĂ€hrend des Krieges war die Kleinstadt Cu Chi einer der strategisch wichtigsten Punkte und einer der grössten amerikanischen ArmeestĂŒtzpunkte. Cu Chi war ein Vorposten der Hölle. Hier, wo Agent Orange und Napalm das Land bis in die 1970er-Jahre vollstĂ€ndig ruinierten, wurden 30.000 Menschen getötet.

Die Vietnamesen gruben ihre Tunnel bis unter das US-Lager.

Die AnfĂ€nge der Cu-Chi-Tunnel reichen in die 1940er-Jahre zurĂŒck, als sich die UnabhĂ€ngigkeitsbewegung der Viet Minh gegen die französische Kolonialmacht erhob. Die Guerillas vernetzten, unbemerkt von den Franzosen, die ganze Gegend. Die Tunnel dienten als Schutz, Waffenlager, Kommandoposten und als Lazarett.

Cu-Chi-Tunnel: In den rund 200 Kilometer langen Tunnel versteckte sich der vietnamesische Widerstand. Die EingÀnge waren mit Gras und Laub getarnt. Zudem wurden sie durch einfache, aber wirkungsvolle Fallen gesichert. Etwa durch messerscharfe Bambusspiesse.
(Bild: Roland Schmid)

Man erzÀhlt sich in Cu Chi eine fast unglaubliche Geschichte, die sich an Weihnachten 1966 abgespielt haben soll: Der US-Komiker Bob Hope unterhÀlt "seine" Truppen der 25. Division mit Liedern und Sketchs.

Zur gleichen Zeit, quasi unter seinen FĂŒssen in den Tunneln verborgen, spielt der vietnamesische Entertainer Pham Sang fĂŒr die Partisanen. "Die Amerikaner wussten, dass da Tunnel waren, doch sie wussten nie genau, was eigentlich unten vor sich ging", erzĂ€hlt der Ex-Guerilla Ba Huyet.

Als die Tunnel entdeckt wurden, erklÀrten die USA Cu Chi zur "Free fire"-Zone. Es durfte erbarmungslos geschossen und niedergebrannt werden.

Die Versuche der US-Truppen, das Tunnelsystem von Cu Chi unbrauchbar zu machen, reichten vom Einschleusen von Hunden bis zum Hineinblasen giftiger Gase. Erfolgreich war dies kaum. Erst die "Tunnelratten" brachten eine Wende: speziell ausgebildete US-Soldaten, die sich heimlich in den Untergrund wagten und SprengsÀtze anbrachten.


Quelle: tageswoche vom 28.04.2015


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